Jussi Adler-Olsen
(2022 für 2020)
Aufgrund der Corona-Pandemie konnte die Verleihung erst im März 2022 erfolgen.
Das vielseitige Schaffen Jussi Adler-Olsens zeichnet sich durch raffinierte Plots und gekonnten Spannungsaufbau aus.
Dem Schreiben des Autors liegt eine große Humanität zu Grunde.
Gekonnt entfaltet er die Bedingungen, unter denen seine Protagonisten agieren.
Er zeigt Menschen mit Schattierungen und in all ihrer Unterschiedlichkeit.
Der Humor, der sein Werk durchzieht, macht das Erleben der stets stimmig dargestellten Wirklichkeit nicht nur erträglich, sondern zudem äußerst unterhaltsam.
Jussi Adler-Olsen, Sohn eines Psychiaters, studierte zunächst Medizin, Soziologie, Politische Geschichte und Filmwissenschaft und war in verschiedenen Berufen tätig, unter anderem als Geschäftsführer in Verlagen, als Redakteur und Komponist, wirkte als Koordinator der dänischen Friedensbewegung, im Vorstand von DK Technologies A/S in Kopenhagen und der Solarstocc AG in Kempten.
1997 erschien sein erster Thriller Alfabethuset, der in zahlreiche Länder, darunter Deutschland (Das Alphabet-Haus,2012) verkauft wurde und viele Bestsellerlisten eroberte. Dasselbe gilt für seine beiden international ausgerichteten Thriller Takeover und Das Washington-Dekret.
Den Durchbruch in seinem Heimatland Dänemark erzielte er 2007 mit dem Roman Kvinden i buret (dt.: Erbarmen), dem ersten Fall für Carl Mørck vom Sonderdezernat Q. Der deutschen Ausgabe gelang der Sprung bis auf Platz 2 der Spiegel-Bestsellerliste. Seit dem Erscheinen des zweiten Teils der Serie um Mørck, Fasandræberne (dt. Schändung), gilt Adler-Olsen als bestverkaufter dänischer Krimiautor. Der deutschen Hardcover-Ausgabe gelang der Sprung bis an die Spitze der Spiegel-Bestsellerliste.
Adler-Olsen ist verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn. Die Familie lebte bis 2016 in Allerød, seitdem in Kopenhagen–Valby. In seiner Freizeit renoviert er mit Vorliebe alte Gebäude und spielt seine eigene Musik.
2018 erschien die erste Biografie über Jussi Adler-Olsen: Die vielen Leben des Jussi Adler-Olsen (dtv), verfasst von dem dänischen Journalisten Jonas Langvad Nilsson.
Zusammenschnitt der Preisverleihung
Jussi Adler-Olsen im Interview mit Christel Engeland
Laudatio von Ralf Kramp
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Schein und Sein
„Das Leben meint es gut mit Dänen und mit denen, denen Dänen nahestehen.“
So sang 1976 der charmante dänische Exportschlager Vivi Bach mit ihrem österreichischen Ehemann Dietmar Schönherr zu sanft säuselndem Swing. Das war das erste, was ich jenseits des Erdkundeunterrichts über Dänemark, ja über Skandinavien generell erfuhr.
Und es gab Michel von Lönneberga, Ferien auf Saltkrokan und Die Mumins, ein ungenaues, lichtflirrendes, mückendurchtanztes Bild der Länder nördlich von Flensburg, die ich bis heute nicht bereist habe.
„Das Leben meint es gut mit Dänen …“ Im Jahr 2016, exakt vierzig Jahre nach dem Song, belegte eine Studie, dass die Dänen sich als das glücklichste Volk der Welt fühlen. Ein Jahr später schafft es der Begriff Hygge in den dänischen Wertekanon, den Danmarkskanon, mit dem das Land seine kulturelle DNA definiert.
Doch Soziologen warnen: In seiner innigen Selbstumarmung kann Hygge durchaus ausgrenzend und kleinbürgerlich wirken, mitunter konfliktscheu und engstirnig. Rechte Tendenzen erwachsen aus dem Wunsch, den Wohlfahrtsstaat nicht mit anderen – Fremden – teilen zu müssen. Und das führt uns nun ohne lange Umschweife zum Krimi. Wenn solcherart soziale Verwerfungen zu viel Raum gewinnen, dann treten die Krimiautorinnen und -autoren auf den Plan.
Ich habe schon früh geahnt, dass es da also noch etwas neben der süßen Leichtigkeit gibt. Außer Karlsson vom Dach ist da auch Detektiv Kim aus der spannenden Kinderkrimi-Reihe des dänischen Autors Jens K. Holm, die ich geliebt habe! Und ein literarischer Bruder von Pippi Langstrumpf ist ja auch Kalle Blomquist, der Kinder-Detektiv!
Krimis haben eine lange Tradition in Skandinavien. Schon seit ziemlich genau hundert Jahren gibt es in Norwegen den sogenannten Påskekrim, den Osterkrimi. Eine frühe, ungemein erfolgreiche Marketingstrategie der Kriminalliteratur.
Maj Sjöwall und Peer Wahlöö haben sich schon früh des literarischen Verbrechens angenommen, und der in den 90er Jahren losgebrochene Boom des Nordic Noir mit berühmten Vertretern wie Henning Mankell, Gunnar Staalesen und Hakan Nesser überzieht die skandinavische Halbinsel mit einem Netz von brutalen Verbrechen und schockierender Gewalt. Hart, gesellschaftskritisch und realitätsnah – schwermütige Kommissare ermitteln im Sumpf der Alltagsproblematik.
„Kommst du einmal nach Kopenhagen, dann wirst du selber seh’n“, schwärmen Vivi Bach und Dietmar Schönherr. Kopenhagen! Hier ermittelt Carl Mørck vom Dezernat Q, das sich mit sogenannten Cold Cases beschäftigt, erschaffen von Carl Valdemar Jussi Henry Adler-Olsen – es wäre eine Schande, diesen klangvollen Namen nicht wenigstens einmal in voller Länge ausgesprochen zu haben.
Jussi Adler-Olsen hat eine Menge gelernt und eine ganze Reihe von Berufen ausgeübt, bevor er beim Krimi ankam. Sein Studium der Medizin, Soziologie, Politischen Geschichte und Filmwissenschaft hat ihm ein breites Basiswissen beschert, auf das er die Handlungen seiner Romane aufbaut, seine Tätigkeit als Musiker und Komponist beweist sein vielfältiges musisches Talent. Er ist der meistverkaufte dänische Thriller-Autor, und auch hier in Deutschland schießt jede seiner Neuerscheinungen torpedoartig in den Bestsellerlisten nach ganz oben.
Nicht nur deswegen hat die Jury der Rheinbacher Krimiautoren und Krimiverkäufer ihn zum Preisträger des Jahres 2020 erkoren. Er erhält heute den Rheinbacher Glasdolch, eine kostbare und symbolträchtige Trophäe.
Dass er 2010 den begehrten skandinavischen Krimipreis, den Gläsernen Schlüssel zuerkannt bekam, legt in Verbindung mit seinem langanhaltenden Erfolg die Vermutung nahe, dass demnächst irgendwann im Hause Adler-Olsen alle beweglichen Gegenstände aus Glas sein könnten.
Seine Krimis um Carl Mørck sind belletristische Kunstwerke auf hohem literarischem Niveau. Auch Mørck ist ein traumatisierter, kontaktarmer Ermittler skandinavischen Zuschnitts, aber Jussi Adler-Olsen bricht gekonnt die gewohnt düstere Atmosphäre und das allgegenwärtige Grauen mit einer gesunden Portion Witz und Charme. Er lässt uns auch an den weichen, verletzlichen Wesenszügen seines Protagonisten teilhaben. Das macht seine Krimis so einzigartig.
Schein und Sein – Diese beiden Ebenen gleichermaßen pfleglich zu behandeln und auszuarbeiten, ist wohl die große Gabe, über die Krimiautorinnen und -autoren verfügen. Besonders Jussi Adler-Olsen. Der trügerische Schein, der alles überdeckt, steht zu Beginn im Vordergrund, während das finstere Sein sich unbeobachtet weiterentwickelt. Stück für Stück kratzt er von Buchseite zu Buchseite ein wenig von der Oberfläche ab, bis sich die grausame Realität offenbart. Unter der Hygge lauert der Schrecken.
In Natriumchlorid, seinem neuesten Werk, stoßen Mørck und sein Team auf eine Mordserie, die sich unbemerkt seit drei Jahrzehnten fortentwickelt und mit eiskalter Präzision Opfer um Opfer gefordert hat. Was die Tatorte miteinander verbindet, ist jeweils ein unscheinbares Häufchen Salz. Eine starke Symbolik, deren Hintergrund im Buch lange verborgen bleibt. Kochsalz – ein unverzichtbares Lebensmittel, ein uns allen vertrautes Alltagsdetail, etwas das wir auf unser Frühstücksei streuen. „Ihr seid das Salz der Erde“, sagt Jesus zu seinen Jüngern. Harmloser und positiver geht es wohl kaum, oder?
Hier sehen wir einen Preisträger, der zufrieden lächelnd auf sein bisheriges Schaffen zurückblickt. Er hat wirklich allen Grund dazu. Er schmunzelt und zwinkert ab und zu. Er ist ein herzenswarmer, zugewandter Zeitgenosse.
Aber wie war das mit Schein und Sein?
Was verbirgt sich unter der Oberfläche? Wie schafft es ein derart sympathischer Krimiautor, sich die abscheulichsten Morde auszudenken? Was schlummert in ihm, das ihn befähigt, solche durch und durch finsteren Abgründe zu erschaffen?
Das bleibt das Geheimnis des Autors. Und das ist gut so!
„Kommst du einmal nach Kopenhagen, dann wirst du selber seh’n.
Ja, dann wirst du es selber sagen – dass die Dänen zu leben versteh’n.“ So heißt es weiter im Lied.
„Dass die Dänen zu leben versteh’n …“ Und zu sterben!
Und dafür sorgt – hoffentlich noch viele, viele Bücher lang – der heutige Preisträger Jussi Adler-Olsen!
Appearance and Reality
“Life means well with Danes and those close to the Danes.”
In 1976, the charming Danish export hit Vivi Bach sang with her Austrian husband Dietmar Schönherr to softly whispering swing. That was apart from geography lessons the first thing I learned about Denmark, and about Scandinavia in general.
And there was Michel from Lönneberga, Holidays on Saltkrokan and the Moomin Family, a blurred, light-shimmering, midge-dancing picture of the countries north of Flensburg, which I have not visited to this day.
“Life means well with Danes …“ In 2016, exactly forty years after the song, a study proved that the Danes consider themselves the happiest people in the world. One year later, the term Hygge makes it into the Danish canon of values, the Danmarkskanon, with which the country defines its cultural DNA.
But there are warnings from sociologists: In its intimate self-loving attitude Hygge can be quite exclusionary and petty-bourgeois, sometimes conflict-averse and narrow-minded. Right-wing tendencies arise from the desire not to have to share the welfare state with others – strangers. And that leads us without much ado to the crime novel. When such social distortions gain too much space, that is where crime writers enter the stage.
Early on I suspected something else existing besides the sweet lightness. Besides Karlsson from the Roof there is also Detective Kim from the exciting children’s crime series by Danish author Jens K. Holm, whom I loved! And a literary brother of Pippi Longstocking is ultimately Kalle Blomquist, the children’s detective!
Crime stories have a long tradition in Scandinavia. The so-called Påskekrim, the Easter crime novel, has existed in Norway for pretty accurate one hundred years. An early, immensely successful marketing strategy of crime fiction.
Maj Sjöwall and Peer Wahlöö took up literary crime at an early stage, and the Nordic Noir boom that broke out in the 1990s, with famous figures such as Henning Mankell, Gunnar Staalesen and Håkan Nesser, covers the Scandinavian peninsula with a web of brutal crime and shocking violence. Hard, socially critical and realistic – melancholy detectives investigate in the swamp of everyday problems.
“If you ever come to Copenhagen, you’ll see for yourself”, Vivi Bach and Dietmar Schönherr rave. Copenhagen! This is where Carl Mørck from Department Q deals with so-called cold cases. Carl Mørck, created by Carl Valdemar Jussi Henry Adler-Olsen – it would be a shame not to have uttered this sonorous name in full at least once.
Jussi Adler-Olsen worked in various professions before he ended up as an author of crime novels.
His studies of medicine, sociology, political history and film have provided him with a broad base of knowledge on which he builds the plot of his novels, his work as a musician and composer proves his diverse musical talent. He is the best-selling Danish thriller writer, and here in Germany, too, each of his new releases shoot to the top of the bestseller lists like torpedoes.
This is not the only reason why the Jury of Rheinbach Crime Authors and Crime Sellers chose him as the winner of the year 2020. Today he receives the Rheinbach Glass Dagger, a precious and symbolic trophy.
The fact that he was awarded the coveted Scandinavian crime prize, the Glass Key, in 2010, together with his long-lasting success, suggests that in near future all movable objects at the Adler-Olsen household might be made of glass.
His crime stories about Carl Mørck are fictional works on a high literary level. Mørck is also a traumatized, introvert Scandinavian investigator, but Jussi Adler-Olsen skilfully breaks the usual gloomy atmosphere and the omnipresent horror with a healthy dose of wit and charm. He also lets us share in the soft, vulnerable traits of his protagonist. That’s what makes his crime novels so unique.
Appearance and Reality – Treating and elaborating these two levels with equal care is probably the great gift that crime writers have at their disposal. Especially Jussi Adler-Olsen. At the beginning, the deceptive appearance which covers everything is in the foreground, while the dark reality develops unobserved. Little by little, he scratches from page to page a little from the surface until the cruel reality is revealed. What lurks beneath the Hygge is sheer horror.
In Natriumchloride, his latest work, Mørck and his team come across a series of murders that has gone unnoticed for three decades, claiming victim after victim with ice-cold precision. What connects the crime scenes is a nondescript pile of salt. A strong symbolism, whose background remains hidden in the book for a long time. Table salt – an indispensable food ingredient, an everyday detail familiar to us all, something we sprinkle on our breakfast eggs. “You are the salt of the earth”, Jesus says to his disciples. It couldn’t be more harmless and positive, could it?
Here we see a laureate looking back at his work with a happy smile. He really has every reason to. He smiles and winks from time to time. He is a warm-hearted, affectionate guy.
But what about Appearance and Reality?
What lies beneath the surface? How does such a sympathetic crime writer come up with the most horrible murders? What lies dormant in him that enables him to create such deep and dark abysses?
That remains the secret of the author. And that’s a good thing!
“If you ever come to Copenhagen, you’ll see for yourself.
Then you’ll say it yourself – that the Danes know how to live”, the song goes on.
“That the Danes know how to live”… and to die!
And todays prize winner Jussi Adler-Olsen – in many, many more crime novels hopefully – will make sure of that!